Review by Fritz I. Schwertfeger for audisseus.de
Zahlreiche kompakte Zwei-Wege-Lautsprecher, die mittlerweile sozusagen Legenden-Status erreicht haben, stammen aus der Hand britischer Entwickler. Und seit langen Jahren ist auch übrigens hartnäckig vom „Insel Sound“ die Rede, einer insgesamt wärmeren Abstimmung bei der elegante Zurückhaltung im Hochton mit fülligeren Mitten und Tiefen einhergeht. Mit diesem Klangbild will der renomierte britsche Lautsprecherentwickler Russell Kaufman jedoch bei seiner Red 100 ganz und gar nicht aufwarten. Trotz aller Erfahrungen, die er mit seinem Lautsprecherkreationen für KEF und andere Hersteller gesammelt hat, konzentriert er sich bei der eigenen Red-Serie auf seine persönliche Philosophie. Und die besagt, dass ein Lautsprecher schnell, agil und frei klingen muss. Spannend also zu erfahren, ob seine konzeptionellen Ansätze bei der Entwicklung zum gewünschten Ergebnis führen.
RUSSELL K. RED 100
Robert Ross, verantwortlich für den Vertrieb hier in Deutschland, musste am Telefon auch nicht all zu lange Überzeugungsarbeit leisten. Ein Lautsprecher, der vollkommen ohne Bedämpfung im Inneren auskommt, weckte zwangsläufig Erinnerungen an ganz vorzüglich aufspielende Lautsprecher wie zum Beispiel die vom Autor getestete Mulidine Bagatelle V2 (Audio 07/2012) oder auch die altehrwürdige Naim SPL.
Mit einem Gardemaß von 40 cm in der Höhe, einer Tiefe von 27 cm und einer Breite von 26 cm lässt die Red 100, eine daneben stehende KEF LS50 ganz schön zierlich aussehen. Geradlinig auch das Design, dass mit Ecken und Kanten aufwartet, wo andere Kurvenradien und Wölbungen präferieren. Ganz klar scheint der Hersteller mehr auf die klangliche Signatur als auf äußere Feinheiten wert zu legen. Was nicht heißt, dass es die Red 100 an Eleganz mangeln lässt, schließlich gibt es sie auch ganz edel in drei Echtholz-Furnieren (Ahorn, Walnuss, Mahagoni). Das Gehäuse ist sauber verarbeitet und gibt keinerlei Anlass für qualitative Kritik, der Lautsprecher wirkt sehr solide und robust. Aufgestellt auf Lautsprecherständern wirkt sie kraftvoll und erhaben, wer etwas Grazileres sucht, der könnte es mit der Red 50 versuchen, die bei gleicher Philosophie kompakter baut. Hochglanzlack und eine Frontbespannung gibt es optional, wer sich an den grauen Gehäusewänden und der roten Front die als Standart angeboten werden nicht stört, erhält somit den gleichen Klang für weniger Geld.
Ein wie bereits zuvor propagiertes, dynamisches und lebendiges Klangbild entsteht nach Überzeugung des Entwicklers, wenn ein Lautsprecher vollkommen ohne Dämmmaterial auskommt. Das wiederum stellt eine besondere Anforderung an die Konzeption von Chassis, Frequenzweiche sowie der Gehäuseparameter, denn rückwärtige Schallanteile der Chassis regen die Gehäusewände nun mal zum Schwingen an. Während in der Regel ein großzügiger Einsatz von Dämmmaterial das Gehäuse ruhig stellt, wartet die Red 100 mit einem gänzlich anderen Konzept auf. Dazu gehören zum Beispiel unterschiedliche Gehäusestärken. Während die Seitenwände aus 16 mm messenden MDF bestehen, ist die für das Klanggeschehen aktivere und relevantere Frontschallwand mit 19 mm dicker ausgeführt.Für eine ausreichende Steifigkeit des Gehäuses sorgen als Verstrebungen dienliche Holz-Elemente (stabil ausgeführte Lochplatten über die gesamte Innenfläche), die so unliebsamen Gehäusebewegungen vorbeugen und dabei auch noch zusätzliche akustische Funktionen übernehmen. Aber dazu gleich mehr. Selbstverständlich könnte man jetzt auf die Idee kommen, die Gehäusewände noch massiver und vielleicht sogar doppelt so dick wie üblich zu konstruieren, aber dies würde den Klang dumpf und muffig wirken lassen – somit auch keine überzeugende Lösung. Simpel und ungemein pfiffig ist aber der im Inneren der Box umgesetzte Ansatz mit den bereits erwähnten Lochplatten.
RUSSELL K RED 100: DER AUFBAU
Über und unter dem 6,5 Zoll großen Tiefmitteltöner, der mit seinem üppig dimensionerten Antrieb die Membran aus einem imprägnierten Papier-Konus in Bewegung versetzt, findet sich jeweils eine als akustischer Fließwiderstand konstruierte Lochplatte wieder. Diese verfügt über zahlreiche nach einem festen Muster ausgeführten Bohrungen, in denen sich die rückwärtig abgestrahlten Schallanteile, je nach Ausprägung schlicht verlaufen. Während sich die vom großen, 25 mm messenden Seiden-Kalotten-Hochtöner, abgestrahlten Schallanteile durch die Verwirbelungen in den Bohrungen ins Leere verlaufen, dürfen tiefe Schallanteile das ganze Gehäusevolumen nutzen.
Die mittleren Frequenzanteile und damit auch der speziell für das menschliche Ohr besonders empfindlich wahrnehmbare Grundton bleiben jedoch in einem definierten und quasi nach oben wie unten isolierten Bereich. Damit soll nicht nur ein agiles, flüssiges und temporeiches Spiel die Folge sein, sondern auch ein bruchloserer Übergang, wenn sich der Tiefmitteltöner bei einer Übernahmefrequenz von 2200 Hz ausklingt und das restliche Geschehen dem Hochtöner überlässt. Unterstützung im Bass erfährt die Red 100 durch einen vorderseitig abstrahlenden Bass-Reflex. Praktischerweise erleichtert dieses Prinzip die wandnahe Aufstellung ungemein, einen übertrieben fülligen Bass braucht somit niemand zu fürchten.
Minimalistisch indes gibt sich auch die an der Rückwand verschraubte Frequenzweiche, die jedem Chassis so wenig Komponenten wie nur nötig in den Weg stellt. Der Gedanke dahinter – je weniger Bauteile, desto weniger Phasendrehungen und eine u.a. damit einhergehende, ungebremstere Spielweise die näher an das Original herankommt. Zwar müssen die Chassis bei Frequenzweichen mit geringeren Steilflanken auch Frequenzenbereiche abdecken, die nicht in ihrem optimalen Arbeitsbereich liegen, aber das zeitrichtigere Verhalten soll diesen Umstand wieder deutlich aufwiegen. Dabei eventuell entstehende unliebsame Resonanzen, zu welchen die Chassis neigen können, wissen die Entwickler mittlerweile gut in den Griff zu bekommen.
Dass sich jedoch, was diese Philosophie angeht, die Geister scheiden, sollte nicht unerwähnt bleiben. Denn das Gehäuse, die jeweiligen Chassis (auch deren Materialbeschafffenheit, harte oder weiche Membranwerkstoffe zum Beispiel) und Bauteile der Frequenzweiche sind miteinander agierende Elemente, die in gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen. Während manchen Entwicklern Frequenzweichen nicht üppig genug mit Bauteilen bestückt und die Überlappungsbereiche der benachbarten Zweige anhand von Steilflanken größer als 50 Dezibel pro Oktave auf das kleinstmögliche Maß minimiert werden, gerade um unliebsame Resonanzen im Keim zu ersticken, belässt es Kaufmann bei lässigen 12db pro Oktave und so wenig Bauteilen wie nur nötig.
HÖRTEST
Keine Frage, im Hörraum sorgte die Russell K. nachdem sie sich gebührend eingespielt hatte, zunächst für erstaunte Reaktionen. Nanu, die klingt ja vollkommen anders als erwartet. Denn, ob man es wollte oder nicht, man brachte die Red 100 bereits bei bloßer Betrachtung unumgänglich mit dem erwähnten Insel-Sound in Verbindung. Aber in dieser Richtung war mit ihr nichts zu machen. Ganz im Gegenteil, als ob sie dem Autor für diese Erwartungshaltung eine lange Nase zeigen wollte, lieferte sie mit dem Stück „Age Old Tale“ von Ryley Walker aus dem – Album Golden Sing That Have Been Sung – (Deep Cuts Edition) eine feinsinnige, äußerst räumliche und zugleich fabelhaft agile Vorstellung ab.
Dumpfe Höhen? Keineswegs, die Red 100 erwies sich als zutiefst detailfreudig und geizte dabei keineswegs mit Klarheit und Transparenz, die sie nicht nur auf einen fokussierten Bereich, sondern eher über einen sehr weiten Frequenzbogen zu spannen verstand. Da glänzte und schimmerte es in leuchtenden Farben, während die Snares und Hi-Hats sehr fluide und mit maßstabsgerechter Körperbetonung das Geschehen untermalten, ohne sich dabei in den Vordergrund drängen zu wollen. Ebenso präzise arbeitete sie die immer wieder wie aus dem Nichts hereinfallenden Harfenfolgen heraus und band sie weiträumig ins Geschehen mit ein. Die sorgsam ausbalanciert wirkende Breitbandigkeit der Russell K. fiel ebenso auf, wie ihre Fähigkeit das Geschehen unvermittelt und direkt wiederzugeben. Die angeschlagene Gitarre drang mit druckvoller Intension und authentisch körperhaft heraus. Die Stimme von Ryley gab die Red 100 ebenfalls sehr lebensecht und mit viel Natürlichkeit wieder. Verfärbungen in wärmere Gefilde blieben ihr dabei vollkommen fremd.
ELECTRONIC
In Sachen Bassgenauigkeit, wusste die Britin interessanterweise ebenfalls zu überzeugen. Wenn es darum geht, Lautsprecher im Tiefbass und den damit einhergehenden Folgen wie Raumanregung, Verfärbung und Genauigkeit so richtig auf die Probe zu stellen, bieten sich Stücke wie zum Beispiel “Coax” von Raime aus dem Album Tooth geradezu aufdrängend an. Statt in wummerndes Brummen überzugehen, blieb die Russell K. betont sauber bis in die ihr möglichen untersten Oktaven. Und auch wenn sie dabei nicht bis in allertiefste Regionen hinabreichte, waren Fülle und Akkuratesse der Tieftonqualität durchaus bemerkenswert. Der Bassbereich tönte eher kernig, trocken und mit mehr als ausreichender Schwärze statt aufgebläht und fahrig zu wirken. Auffällig auch ihre Fähigkeit das restliche Geschehen sehr flink und sehr präzise darzustellen, was der Durchhörbarkeit insgesamt gesehen in die Karten spielte. Subtilere Klangereignisse, die sich im Hintergrund austobten und sonst gerne bei übertriebener Tieftonbetonung schlicht überdeckt wurden, zeigte sie sie mit charmanter Gelassenheit auf. Dabei brachte sie auch ein bestechendes Timing mit, das Stück strotze über die Red 100 nicht nur vor Energie, sondern hatte auch ein mitreißendes Tempo. Wo andere Lautsprecher nicht so richtig aus dem Quark zu kommen schienen, projezierte die Britin das Stück mit viel Spielwitz, dabei äußerst leichtfüssig und wendig in den Hörraum. Das hatte durchaus Stil, ebenso wie ihre insgesamt offene und plastische Timbrierung.
KLASSIK
Da verwunderte es keineswegs, dass die fidele Britin speziell bei klassischer Musik, sich wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser wohlfühlend, eine äußerst kultivierte wie anspringede Darbietung zum Besten gab. So ließ sie bei Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester D-Dur op.35, Canzonetta-Andante die Streicher zunächst mit sanfter Hand musizieren, ohne auch dabei auch nur einen Hauch von Härte im Klangbild zu entwickeln. Das Obertonspekrum gab sie facettenreich wieder und hielt tonale Ereignisse, die tief ineinander umschlungen schienen, fein auseinander. Während die erste Geige kummervoll ihren Schmerz wiedergab, blieben die restlichen Streicher deutlich erkennbar und auch die weitere Instrumentierung malte sie sehr deutlich und klar ausdifferenziert auf. Dabei gefiel auch hier ihre Natürlichkeit, die sie mit sehr viel Tempo und Stimmigkeit verband. Für viele möglicherweise etwas ungewohnt, das leicht ins trockene tendierende Klangbild, das sich oppulente Grundton-Fresken, gerne auch noch mit dem extra dicken Farbpinsel, schlicht verbat. Statt dessen konnte einem bei abrupten Tempiwechseln durchaus schon das Blut in den Adern stocken, denn die Red 100 ging dynamische Sprünge, die auf leisen Passagen folgten mit enormen Tempo und einer ganz besonderen Agilität nach. Selbst bei höheren Lautstärken blieb die Red 100 im Obertonbereich sehr klar, sehr sauber und verlor dabei nie ihren seidig-frischen Charakter. Am deutlichsten festzumachen am Klang einer schnell und dynamisch gespielten Geige, die sich nicht in die Ohren verbiss, sondern mit großer chromatischer Feinheit und einer gelassenen Klarheit aufwartete. Wechselte die Orchestrierung und legte eine dynamischere Gangart vor, blieb die Red 100 dennoch souverän, behielt bei aller Schnelligkeit und Sehnigkeit die tonale Übersicht ohne nervös oder fahrig zu wirken.
Gleiches Bild auch bei oppulenter Klassik wie der Tragischen Ouvertüre d-Moll op.81 von Johannes Brahms. Sehr eindringlich und feinnervig einerseits, dabei sehr klar und sehr sauber aufspielend. Ausdifferenzierbar blieben sogar feinste Flötentöne, erstaunlicherweise ermüdete das temperamentvolle Spiel der Red 100 nicht, sondern machte Lust auf mehr. Die Ortbarkeit einzelner Klangereignisse gelang ihr sehr präzise und auch hier zeigte sie sich sehr dynamisch, äußerst agil und sehr direkt aufspielend. Statt eine übertriebene Weite oder künstliche Tiefe zu suggerieren, bot die Britin eher den direkten Zugang zur Musik an. Sie zog den Hörer tief in den Orchestergraben hinein, ließ ihn jeden Winkel zwischen den Musikern erkunden, blieb dabei mit ihrer pfeilschnellen und subtilen Gangart was das Kapitel Abbildungstiefe anging, absolut nichts schuldig.
JAZZ
Die Trommeln zu Beginn des Stücks „Stimela (The Dowry Song)“ von Hugh Masekela aus dem Album – Hope -, wuchsen nicht nur ehrfürchting an, sondern spielten bei aller nötigen Autorität dennoch fein umrissen und druckvoll auf. Beeindruckend, wie die Red 100 den dynamischen Sprüngen, der immer wieder anschwellenden Schlaginstrumentierung nachging. Man kam nicht umhin, dies mit der Impulsivität eines Horns vergleichen zu wollen. Beim Verrücken der Lautsprecher in Richtung der rückseitigen Wand gewann der Mittelton mehr Wärme und Ausdruck, es lohnt sich also durchaus mit der Aufstellung zu experimentieren. Somit klang die Stimme von Hugh Masekela auch gleichsam fülliger und verlor ihre leicht distanziert wirkende Kühlheit. Die Spielweise der Red 100 war bei diesem so oft gehörten Stück zunächst dennoch etwas ungewohnt, man musste sich an den direkten, zupackenden Klang regelrecht hineinarbeiten. Aber potzblitz, während Hugh Masekela virtuos die Ventile seiner Trompete zum Tanz aufforderte, blieb dem Autor dann doch beinahe die Luft weg. Die Eindringlichkeit, Natürlichkeit und Musikalität mit der die Red 100 hier geradezu brillierte, war bemerkenswert. Sehr direkt, ohne Distanz und mit großer Impulsivität folgte sie den Atemstößen Masekelas, die als Reinkarnation betörender Tonfolgen, dem Schallbecher der Trompete entwichen. Die musikalische Darbietung der Red 100 war mitreißend, mithin die Folge ihrer stupenden, trockenen Dynamik und dem pfeilschnellen Spiel. Das immer wieder, speziell gegen Ende des Stücks einsetzende Schlagzeug schob nochmals richtig an. Dabei behielt die Britin stets ihre Feinsinnigkeit. Und mochte Masekela mit noch soviel Zischlauten um sich werfen, die Red 100 blieb stets seidig und klar.
FAZIT
Die Red 100 von Russell K. ist wie ein erfrischender Regen an einem heißen Sommertag. Sie spielt sehr direkt, sehr offen und vor allem mit großer Impulsfreude und Dynamik, ohne sich dies mit Nervosität oder gar Aggressivität zu erkaufen. Dem Inselsound vergangener Tage stellt sie ihre brodelnde Dynamik und anspringende Schnelligkeit gegenüber. Gut möglich, dass sie dabei voreilig und vollkommen zu unrecht für zu ungestüm und all zu sehr voranstürmend gehalten werden kann.
Dabei lohnt es sich dem Lautsprecher die gebührende Zeit zu gönnen, um sich an seine im ersten Augenblick außergewöhnliche Spielart hineinzuhören. Wer diese Form von Hörkultur erfahren hat, der dürfte sie sicherlich nur ungern missen wollen. Speziell in Räumen die aufgrund ihrer baulichen Beschaffenheit und Möblierung nur eine gedämpftere Spielweise zulassen, empfiehlt sich die Red 100 als kultiviert und fein durchhörbar aufspielender Lautsprecher.
Sie punktet mit ihrer hohen Verarbeitungsqualität, ihrer offenen, agilen und sehr flüssigen Spielweise. Und auch wenn die Red 100 nicht bis in den untersten Tiefbasskeller hinabreichen mag, spielt sie in den unteren Oktaven dennoch mit solider Fülle. Hochmusikalisch, mit stupender Dynamik und Lebendigkeit ist die Red 100 eine Versuchung, der man sich nur all zu gerne ergibt.
- 90 Pkte Klang
- 85 Pkte Ausstattung
- 85 Pkte Verarbeitung
- 90 Pkte Abbildung / Räumlichkeit
- 85 Pkte Bassqualität
- 85 Pkte Neutralität
- 95 Pkte Feindynamik /Präzision